Herzlichen Glückwunsch! Sie wurden mit dem Bundesverdienstorden für Ihr Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“ ausgezeichnet. Worum geht es genau?
Herzlichen Dank für die Glückwünsche! Es geht darum, dass wir Jugendlichen die Möglichkeit bieten, sich intensiv mit Geschichte auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite werden Menschen mit Migrationsgeschichte aus unserer Erinnerungskultur ausgeschlossen, weil man meint, dass Auschwitz sie nichts angeht. Auf der anderen Seite gibt es aber auch in der muslimischen Gesellschaft Antisemitismus. Wir wollen Jugendliche stärken und ihnen ein kritisches Geschichtsbewusstsein vermitteln, damit sie Haltung und Zivilcourage zeigen, wenn jemand „Du scheiß Jude“ im Klassenzimmer sagt.
Seit sechs Jahren arbeiten Sie nun schon in dem Projekt. Welche war Ihre prägendste Erfahrung mit den Jugendlichen?
Ich hatte mal einen Jugendlichen im Programm, der mit antisemitischen Vorurteilen aufwuchs. In der Auseinandersetzung mit Geschichte hat er begriffen, dass ihm dieser Hass anerzogen wurde. Nach der intensiven Vorbereitung und der Fahrt nach Auschwitz entwickeln unsere Jugendlichen ein Theaterstück und er spielte damals in diesem Stück den Juden. Das war etwas, das mich zutiefst bewegt hat und mir deutlich machte, dass der Zugang zu Bildung Menschen nicht nur verändern kann, sondern sie auch selbstbewusster und gesellschaftskritischer macht.
Warum ist die Arbeit zum Thema Antisemitismus gerade für diese Zielgruppe so wichtig?
Weil ich in meiner Arbeit merke, dass bestimmte Stadtteile wie Duisburg-Obermarxloh oder Bonn-Tannenbusch kaum Zugänge zu Bildung haben. Wir müssen Angebote schaffen, wo Jugendliche aus diesen Stadtteilen sich kritisch mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen. Der Geschichtsunterricht erreicht viele Menschen mit Migrationsgeschichte nicht, weil er auf die Mehrheitsbevölkerung zugeschnitten ist. In meiner Familienbiografie kommt der Nationalsozialismus nicht vor, ich habe einen anderen Zugang zu diesem Thema und genau dieser Weg muss zugelassen werden, damit auch Menschen mit Migrationsgeschichte sich angesprochen fühlen. Außerdem haben wir auch innerhalb der muslimischen Gesellschaft gravierende Probleme mit Antisemitismus. Das fängt bei einigen Imamen an, die eine antisemitische Theologie verbreiten, bis hin zu türkischen Fernsehserien, in denen die Jüd*innen immer die Bösen ist.
Was muss sich Ihrer Meinung nach in den Schulen ändern, damit junge Muslim*innen sich stärker mit der deutschen Geschichte verbunden fühlen?
Sie brauchen Anerkennung und wir müssen ihnen vermitteln, dass auch sie ein Teil dieses Landes sind. Ihre Stimme ist wichtig, sie stehen in der Verantwortung. Wenn wir muslimische Schüler*innen immer nur als „die Anderen“ oder „die Fremden“ ansprechen, erreichen wir sie nicht. Auch sie sind deutsch und die Zukunft dieses Landes. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass sie Demokratie mitgestalten können. Ich habe mal einer Hauptschulklasse gesagt, dass ihre Stimme wichtig ist und dass sie sich nicht einschüchtern lassen sollen, wenn man ihnen den Weg versperrt. Einer in der Klasse antwortete darauf: „Sowas haben wir noch nie von einem Erwachsenen gehört.“ Das ist sehr schade und zeigt mir häufig auch an anderen Schulformen, dass wir ein exklusives Verständnis von „Deutschsein“ haben. Wir müssen junge Menschen aber für uns und unsere Demokratie gewinnen.
Die Fragen stellte Jessica Küppers, Redakteurin im NDS Verlag